Stammte dieses über 200 Jahre alte Kleisterpapier aus meiner Werkstatt, so wäre ich normalerweise nicht glücklich damit, denn meine Kunden bevorzugen klare Verdrängungsdekore mit weitgehend makelloser Oberfläche. Die Rieselspuren rechts unten deuten darauf hin, daß der hier verwendete Kleister zu flüssig war, um damit ein "scharfes" Dekor anzufertigen. Vermutlich war er zum Zeitpunkt der Verarbeitung nicht richtig eingestellt, bereits zu alt - oder der Bogen wurde hängend getrocknet. Zudem finden sich im unteren Bereich eingeschlossene Stückchen getrockneten Kleisters, sowie ein Pinselhaar. Ziemlich "unperfekt" und trotzdem fasziniert mich dieses Papier.
Ist der von mir erreichte und geschätzte Grad der Perfektion vielleicht zu viel des Guten? Der damalige Buchbinder hat das in heutigen Augen mißlungene Papier nicht nur verarbeitet, sondern sogar auf dem Vorderdeckel angestückelt. Im Buntpapier und auch im Trägerpapier steckte Handarbeit - warum also weniger gelungene Exemplare entsorgen? Obwohl Rechnungsbücher wie dieses der Archivierung dienten, also bald aus dem Sichtfeld verschwanden, erhielt ihr Einband oft einen Rücken und Eckverstärkungen aus Pergament, Buntpapierdeckel, sowie ein großes, sorgfältig beschriftetes Titelschild. Andererseits geht die Beschriftung bei einigen Exemplaren zentimeterweit über das aufwendig geschnittene Titelschild hinaus, zuweilen garniert mit erbsengroßen Tintenklecksen. So haben die Bücher bis heute überdauert und mit ihnen eine liebenswerte menschliche Komponente.
)* Auf die Veröffentlichungs- und Vervielfältigungsrechte des Landesarchivs Baden-Württemberg wird hingewiesen.
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